"Mir geht es gut" - ein Schwindel und sein Rattenschwanz

Donnerstag, 26. Januar 2023

Meine Lieben,

heute möchte ich über ein Herzensthema sprechen, welches mir schon sehr lange auf der "Zunge" liegt oder besser gesagt: in den Fingern kribbelt, es niederzuschreiben. Konkret trage ich es nun bestimmt 6 oder 7 Jahre mit mir herum, ohne je darüber gesprochen zu haben, wenn es nicht unbedingt notwendig war. Und damit zähle ich sicher zu der Mehrheit der Menschen, die es betrifft. Leider. Auch jetzt zögere ich, denn es fühlt sich "nicht richtig" an, darüber zu schreiben. Allerdings ist es vielleicht gerade deshalb wichtig, denn tief in meinem Inneren bin ich traurig und wütend, dass es immer noch Tabuthemen gibt und die Scham so groß ist.  In diesem Beitrag soll es nämlich um psychische Erkrankungen und ihren Status in unserem Umfeld gehen. Es ist ein sehr sensibles Thema und ich hoffe, ich verletze damit niemanden. In der Vergangenheit habe ich selbst oft erlebt, dass ich mich von Äußerungen anderer Menschen sehr unverstanden gefühlt habe. Sollte dies bei euch der Fall sein, zögert nicht, euren Standpunkt in den Kommentaren zu vertreten. Um Missverständnisse vorzubeugen, ist es vielleicht angemessen, deshalb erst einmal von meinem eigenen Weg zu erzählen: 

Wie es begann (ausklappbar).
    Mitten in meiner Abiturphase erfuhr ich das erste Mal bewusst, was psychischer Stress für körperliche Reaktionen hervorrufen kann. Ich bin schon immer sehr sensibel (heute sagt man wohl hochsensibel) und denke möglicherweise ein bisschen schneller und mehr als andere Menschen. Nie konnte ich mich so wirklich entscheiden, was für ein Hobby ich gern ausüben würde und hätte am liebsten alles gleichzeitig gemacht. Neben der Schule war ich mehrmals in der Woche als Reitbeteiligung im Stall und verbrachte dort beruhigende Stunden (im Nachhinein muss ich sagen, dass die Nähe zum Pferd mich sehr ausgeglichen hat), spielte Klavier, fotografierte und malte mit einem extrem hohen Anspruch an mich selbst, betreute Homepage und Facebookseite und versorgte alles fast täglich mit kreativem Content und hatte "nebenbei" noch die 11. Klasse, also ein Jahr vor dem Abitur, zu bewältigen. Irgendwann funktionierte das alles nicht mehr so und schlug sich in Form körperlicher Reaktionen nieder, die es mir teilweise unmöglich machten, Prüfungen zu schreiben. Ich hatte das Glück, eine wunderbare Tutorin zu haben, die mich unterstützte und das Lehrerkollegium über diese Dinge informierte. Gleichzeitig entwickelte ich eine Strategie, mit dem Stress umzugehen und meine Gefühle zu unterdrücken: Hungern. 
    In dieser Zeit habe ich das erste Mal eine Psychotherapie in Anspruch genommen. Rückblickend muss ich leider feststellen, dass ich mich dort nicht ernst genommen gefühlt habe und genau das hat meine Symptomatik befeuert. So habe ich also mein Abitur durchgeprügelt, ein Praktikum gemacht und mein Studium begonnen. Und mich alleine durchgekämpft, weil ich dachte: Das ist nichts. Das ist keine Depression. Das ist keine Essstörung. Ich bin einfach faul. Es geht mir ja auch manchmal gut, es gibt gute Phasen. Bis 2020 Corona kam und ich ein Jahr später feststellen musste: Nein, es geht mir nicht gut. Es geht mir sogar richtig schlecht. Und ich muss mich entscheiden: Will ich so weitermachen? Da habe ich mir erneut einen Therapieplatz gesucht und zu meinem Glück jemanden gefunden, der den Ernst der Lage erkannt hat. Überdurchschnittlich schnell wurde mir ein Antrag auf stationäre Behandlung genehmigt und so verbrachte ich den gesamten Herbst des letzten Jahres weit weg von zu Hause, um gesund zu werden. 

In der Gesellschaft, wie ich sie erlebe, vollzieht sich gerade ein Wandel, den ich im Großen und Ganzen als sehr angenehm empfinde. Es entstehen vor allem auf Social Media immer mehr Accounts, die das "reale" Leben zeigen wollen und nicht die Idealvorstellung, die in den Medien gern jeder von sich selbst zeichnet. Gleichzeitig entstand vor dem Hintergrund von Corona und dem Home-Office eine Art Wettbewerb, wer produktiver ist, mehr schafft oder auch: wem es schlechter geht, wer gestresster ist. Möglicherweise ist das der neue Trend "in extrem", aber ob es wirklich in jedem Fall so extrem ist? Das weiß ich nicht und ich möchte niemandem seinen Stress absprechen. Allerdings sind Accounts, die pausenlos ihre Produktivität, die Tiefe ihrer Krankheit oder das Hamsterrad ihres Jobs, naja...nicht selten sogar vermarkten, genauso gefährlich für den Selbstwert wie die tiptop gestylte Beauty-und Healthy-Lifestyle-Bubble. Denn sie befeuern Vergleiche und darauf basierend: Glaubenssätze.

Jeder Mensch trägt Glaubenssätze in sich, die sich positiv, aber auch negativ auf das Bild des Selbst und die Handlungen auswirken kann. Gefühlt meistens jedoch negativ. Ein sehr verbreiteter, zentraler Glaubenssatz ist:

Ich bin nicht genug.

Er erscheint in Formen wie:
Ich bin nicht schön genug.
Ich bin nicht dünn genug.
Ich bin nicht schlau genug.
Ich bin nicht lustig genug.

Aber auch:

Meine Probleme sind nicht wichtig genug.
Mir geht es nicht schlecht genug (um darüber zu sprechen).
Ich arbeite nicht genug (um gestresst zu sein, woher also kommt der Stress?).
Ich bin nicht produktiv genug.
Ich bin nicht krank genug. (Um mir Hilfe zu suchen.)

Diese Glaubenssätze werden leider durch viel zu viele Menschen gestützt, indem sie Dinge sagen, wie "Hab dich mal nicht so. Du solltest froh sein über die Privilegien, die du hast. Dir fehlt einfach eine Aufgabe." Überall schwingt mit, sich zu vergleichen und stillschweigend das zu ertragen, was man gerade durchlebt. Ich habe das eben selbst von der Seite gehört, die an dem Hebel sitzt, der die Hilfe ermöglicht. Vom Therapeuten. Vom Arzt. Dabei ist jeder Mensch unterschiedlich und der Leidensdruck kann nicht verglichen werden. Sobald du leidest, also dich von einer Situation belastet fühlst und davon in deinem alltäglichen Leben eingeschränkt wirst, ist es "genug", um Hilfe in Anspruch nehmen zu dürfen, die dich vielleicht entlastet. Überhaupt, wer setzt eigentlich den Maßstab, ab wann etwas als "genug" gilt? Wer legt fest, wann man produktiv genug ist? Schön genug? Laut genug?

Mitunter führt die Angst, nicht genug zu sein, dazu, zu schweigen. Oder zu lügen. "Mir geht es gut" ist in dieser Situation für mich eine Lüge. Auch wenn sie unter Umständen zweckmäßig ist, zum Beispiel, um Berufschancen aufrecht zu erhalten. Ich habe sehr lange nichts gesagt, weil ich als Lehrerin verbeamtet werden wollte und es ein offenes Geheimnis ist, dass Menschen, die in der Vergangenheit eine psychische Erkrankung hatten, nicht verbeamtet werden. Das ist doch absurd. Das Gegenteil sollte der Fall sein, denn wer sich in der Vergangenheit selbst um die psychische Gesundheit gekümmert hat, konnte mitunter sehr wertvolle konstruktive Strategien erlernen, mit Stress umzugehen. Aber das ist noch nicht so durchgedrungen. 

Ich habe mich nach dieser langen Zeit für das Leben und für meine Gesundheit entschieden. Berufschancen gäbe es auch so genug, wenn es mir wieder gut ginge. Für mich war das die beste Entscheidung, denn langfristig wäre die Alternative (alleine kämpfen) sicherlich nicht gut gegangen. So habe ich im letzten Jahr wahnsinnig viel lernen können. Angefangen damit:

Sobald ich mich meinem Umfeld an Freunden auch nur ein wenig geöffnet habe (weil ich sie ja informieren musste, dass ich die nächsten Monate weg sein würde), habe ich positive Resonanz bekommen, gefolgt von: Du hast recht. Mir geht es auch nicht gut, aber ich weiß nicht, wohin ich mich wenden soll. Das hat mich sehr erstaunt und gleichzeitig beruhigt, weil es die Scham, krank zu sein, mildern konnte. Dabei ist nichts Beschämendes daran, denn es ist wahrhaft mutig, sich das einzugestehen und an sich zu arbeiten, um Konflikte aus der Vergangenheit und Gegenwart aus dem Weg zu schaffen.

Im Verlauf meines Heilungsweges, auf dem ich mich immer noch befinde, habe ich einige Dinge begriffen, die ich für mich als sehr wertvoll erachte:

1. 

Eine Essstörung ist ein Symptom für ein tieferliegendes Problem und gleichzeitig eine Kompensation, die in einer bestimmten Lebensphase sogar hilfreich sein konnte, weil sie dich vor den "wahren Dingen" schützen konnte. Deshalb ist es in manchen Fällen gut, sie dafür anzuerkennen, um sie später loszulassen.

2. 

Depressionen können in vielen Facetten auftreten. Nur weil du nicht 24/7 im Bett liegst, heißt das nicht, dass du keine Depressionen hast. 

3. 

Psychische Erkrankungen geschehen im Kopf. Körperliche Symptome können auftreten, müssen es aber nicht. Du hast im Normalgewicht den gleichen Anspruch auf Unterstützung wie im Untergewicht. Die Zahl auf der Waage bestimmt nicht deinen Wert. 

4. 

Sprich darüber, aber vergleiche dich nicht. Gespräche mit Angehörigen oder Leidensgenossen können das Leid mindern, allerdings gilt auch hier, jeder Mensch ist anders. Jeder fühlt anders, jeder leidet anders.

5. 

Jeder schaut aus seiner eigenen Perspektive mit seinen eigenen Gedanken auf eine Situation. Ich habe mich oft übergangen und unverstanden gefühlt (tbh immer noch manchmal lol), wenn bestimmte Aussagen von Mitmenschen getroffen worden sind (z.B.: "Ich hab heute ganz vergessen, zu essen", während meine Gedanken 24/7 darum kreisten und ich einfach nur dachte, die Person möchte mich damit invalidieren). Dabei hat die besagte Person in dem Moment aus ihrer Gedanken- und Gefühlswelt heraus gesprochen und nicht mich angreifen wollen. Es ist ein kleines bisschen, zu begreifen, dass nicht alle Rücksicht nehmen können.

6. 

Der Körper hält so viel aus. Er steckt so viel zurück, gleicht aus, hält stand. Und es ist schön, das wertzuschätzen. Also: Danke, Körper, dass du mich laufen lässt, tanzen lässt, dass ich mit dir Instrumente spielen kann, Berge besteigen, lachen, weinen und alles dazwischen. Danke.

7. 

Tue eine unliebsame Sache häufig, wenn sie auf dem Weg der Heilung liegt, so wird es einfacher. Aller Anfang ist schwer, so platt das auch klingt. Aber die Verhaltensmuster müssen erst einmal konsequent durchbrochen werden, dann kann irgendwann eine Blume daraus sprießen. Iss die volle Mahlzeit, nutze den Skill, mach deine Entspannungsübung, auch wenn sie zunächst irgendwie affig erscheint. Wenn daraus eine Routine geworden ist, funktioniert es.

8. 

Eine Depression, Essstörung und auch anderes Leiden bewegt sich immer in einer Art Kontinuum. Es ist nicht immer alles schlimm, es kann auch gute Phasen geben, in denen du weniger belastet bist. Das heißt nicht, dass dein Problem weniger "da" ist oder du es "fakest", weil es ja auch anders geht. Nein, aber das Ziel der Heilung ist so ungefähr: weniger Ausreißer nach unten zu haben.

9. 

Es dauert. Es dauert so lange. Mehrmals im letzten Jahr dachte ich: So, jetzt habe ich es geschafft. Jetzt bin ich gesund. Nur, um dann in einem Moment zu merken, Mist, nein, da ist doch noch etwas. An diesem und jenem Aspekt muss ich noch arbeiten. Ja, der Heilungsweg ist lang und ja, es kann Rück- oder Vorfälle geben, die krass verunsichern. Aber Fakt ist: Die Phasen dazwischen werden länger. Die Intensität der Belastung schwächer. Und das ist das, was dabei zählt. Und irgendwann, ich glaube fest daran, wird das Ganze gar kein Thema mehr sein, aber bis dahin ist der Weg das Ziel.

10. 

Alles hat seinen Grund. Nichts geschieht einfach so. Ich habe mich oft gefragt: Warum ich? Und kam mir dabei immer ein bisschen fehl am Platz vor. Als wäre ich es nicht einmal wert, zu leiden. Aber mittlerweile kenne ich die Gründe und bin dankbar, mich so intensiv mit mir selbst auseinandergesetzt zu haben (tue ich immer noch) und dadurch viel begriffen zu haben und einfach ...Verständnis für mich aufbringen zu können.


Das ist doch der Kern des Umgangs mit uns selbst: Wir behandeln uns nicht so, wie wir unsere beste Freundin oder unser Kind behandeln würden. Einem Kind würden wir niemals sagen "Deine Traurigkeit ist unangebracht, anderen geht es viel schlechter." Ein Kind würden wir in den Arm nehmen und ihm sagen, dass alles gut werde und das auch von ganzem Herzen so meinen. Warum also gehen wir mit uns selbst nicht so um? 

Es tut so, so gut, verständnisvoll mit sich zu sein, es sich einfach wert zu sein. Nicht wertvoller, als andere. Aber wenigstens genauso viel wert. Sich selbst ab und zu mal in den Arm nehmen (oder nach einer Umarmung bei einer geliebten Person fragen). Einen Dankesbrief an das Ich schreiben. Und die kleinen Wunder des Lebens wahrnehmen.

Mit jedem Schritt, den ich auf meinem Heilungsweg gehe, bin ich glücklicher darüber, am Leben zu sein. Es ist nicht selbstverständlich und irgendwie stimmt es mich traurig, das Leben erst so richtig schätzen gelernt zu haben, als es irgendwann nicht mehr selbstverständlich war, weil das überleben im Vordergrund stand. Das ist übrigens ein Plädoyer, dass DU DICH lieber früh als spät auf den Weg begeben solltest. Warte nicht ab, bis du dich "krank genug" fühlst. 

Es gibt so viel zu erleben, zu staunen. So viel Energie, die für Abenteuer verwendet werden könnte. Ich habe in diesem Jahr entdeckt, dass ich mich unter Menschen doch ganz wohl fühle. Und ich habe einen Berg bestiegen, den ich vor anderthalb Jahren nicht zu einem Fünftel bewältigt hätte. Doch jetzt habe ich es geschafft und am Gipfel habe ich vor Freude weinen müssen.

Ich bin wahnsinnig dankbar und stolz auf mich und auf alle, die mir mir diesen Weg bestritten haben und tagtäglich bestreiten. Es ist schön, nicht alleine zu sein. Die Vorzüge des WWW sind, viele gute Angebote finden und beziehen zu können, zum Beispiel den Blog und Podcast von Oona. Ich habe unglaublich viel daraus lernen können. Weiterhin gibt es psychologische Beratungen an Universitäten, bestimmt auch an deiner. Oder Anlaufstellen in jeder Stadt, die auch anonym per Chat kontaktiert werden können. Auch die Telefonseelsorge betreut einen E-Mail-Chat. 

Mein Anliegen ist vorrangig, dass ein größeres Vertrauen entsteht, auch über die eigene (psychische) Gesundheit sprechen zu dürfen, ohne dafür verurteilt zu werden. Dass es kein schambesetztes Thema mehr ist und die Dringlichkeit von Heilung in den Vordergrund rückt. 1 von 10 Personen stirbt an und mit Magersucht. Das Gesundheitsrisiko ist bei allen Formen von Essstörungen erheblich, der Begriff "Depression" wird inflationär als Synonym für "niedergeschlagen" benutzt. Bulimie, Binge Eating, Sportsucht werden mitunter nicht einmal als ernste Krankheit wahrgenommen und wenn doch, folgt ein abschätzender Blick und "Das sieht man dir aber nicht an." Dementsprechend muss hier eine Vertrauensbasis geschaffen werden; eine, auf deren Grundlage es Betroffenen und Angehörigen leichter fällt, sich zu zeigen und sich möglicherweise Unterstützung zu organisieren, denn:

Du bist wertvoll.

Und ich hoffe so sehr, dass es eine Zeit geben wird, in der ich kein mulmiges Gefühl mehr haben werde, diesen Beitrag zu teilen. Denn ich bin mir sicher: Hätte ich über ein gebrochenes Bein berichtet, hätte ich keine Bedenken.

Damit schicke ich eine feste Umarmung raus und sage

bis demnächst.

8 Kommentare

  1. Hey Isa,
    wertvoller Beitrag, Danke dafür.
    Zwei, drei kurze Gedanken.
    Ich finde die Entwicklung, vielleicht auch nur den Eindruck, solche Themen fänden in der öffentlichen Wahrnehmung mehr Gehör, zwar sehr begrüßenswert, dennoch kommt mir immer wieder unter, dass genau dort auch mehr Verständnis aufgebracht wird.
    Also, wenn ein 'Promi' sowas anspricht bekommt er viel Unterstützung und Zuspruch. Sobald sich aber Kommentare finden, die zaghaft vermuten, auch beispielsweise Depressionen zu haben, kommen unzählige Leute, die das entweder bezweifeln oder direkt meinen, das könne nicht sein.
    Die Frage oder der Eindruck bei manchen, 'früher gab es das nicht', oder viel weniger, es sei eine 'Modeerscheinung', ist so schlimm wie logisch. Natürlich gab es auch früher psychische Erkrankungen, nur war das, ich sag mal, gesellschaftlicher Selbstmord, das an die große Glocke zu hängen. Es wird möglicherweise tatsächlich mehr, da habe ich gerade keine Zahlen zur Hand, vor allem wird es mehr und mehr sichtbar, eben gerade weil bekannte und geschätzte Menschen darüber reden. Logischerweise finden sich gerade dann Menschen, die sich offenbaren. Leider habe ich das Gefühl, dass das Mitgefühl eben diesen prominenten, beliebten Personen vorbehalten ist und sobald es um fremde oder auch nicht fremde Personen oder gar Freunde geht, geht das Mitgefühl, ja, die Bereitschaft zur Akzeptanz, verloren. Denn aus der Ferne ist es einfach, je näher es rückt, desto weniger sind manche bereit, es überhaupt zuzugestehen, jemand sei tatsächlich depressiv (oder leidet an einer anderen psychischen Erkrankung) Versteht man, was ich meine?

    Und all die Body-Positiven Seiten, ehrlich gesagt empfinde ich das eher als Trend, als eine wirkliche Änderung in der Haltung. Es ist wünschenswert aber noch lange nicht wirklich erreicht.
    Trotzdem ist es gut, dass es so etwas gibt. Auch, daß mehr und mehr öffentlich darüber gesprochen wird, andererseits könnte man den Eindruck haben, dass mit steigender Body-Positivity auch Schönheitseingriffe, ob groß oder klein, immer mehr werden und auch öffentlich gezeigt werden. Also Schöheitskorrekturen als Body-Positivity sozusagen.
    Ende Teil 1 (Kommentar ist zu lang)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Silver,
      danke für deinen Kommentar. Ich stimme dir zu, was die, naja, Exklusivität von Mitgefühl angeht. Ich persönlich habe zwar auch andere Erfahrungen gemacht, aber es war und ist oft so, dass es die Beziehung nachhaltig beeinflusst hat (= seltsam gemacht hat), ganz im Gegenteil zu prominenten, die aus irgendeinem Grund dann noch interessanter und sympathischer wirkten, hatten sie sich "offenbart". Ja, möglicherweise ist es eher ein Trend, der zusätzliche Publicity erzeugt und fern vom wirklichen Gesicht psychischer Erkrankungen ist (mir erscheint der Teil, den Influencer in der Öffentlichkeit teilen, manchmal auch romantisiert), nichtsdestotrotz ist es zumindest schon einmal ein kleiner Ruck zum Teilen der eigenen Erfahrung, so empfinde ich es. Auch wenn z.B. zuerst nur in Kommentarspalten des Internets ausgesprochen wird, dass man an Depressionen leide, ist jedes Aussprechen eine Übung, um möglicherweise (bestärkt) auch im persönlichen Umfeld für sich einzustehen und Probleme zu artikulieren. Keine Ahnung, vielleicht bin ich auch auf dem Holzweg oder habe nur den kleinen Teil kennengelernt, wo es gut läuft.

      Löschen
    2. Hey Isa, ich werde mich nie dran gewöhnen, immer hier zu schauen ob eine Antwort gekommen ist.
      Wie auch immer.
      Du bist sicher nicht auf dem Holzweg, du hast bloß auch positive Erfahrungen gemacht oder beobachtet. Das ist doch gut. Ich berichtete ja nur von meinen Erfahrungen bzw. Beobachtungen.
      Kennst du Torsten Sträter? Gutet Mann, nicht nur witzig, nein, er hat auch kluge und gute Dinge zu dem Thema zu sagen. Ein gutes Beispiel dafür, wie es in die Öffentlichkeit gebracht werden kann, Menschen sensibilisiert werden können etc.
      Silver

      Löschen
  2. Teil 2
    Über eine kleine Sache bin ich gestolpert. Du meintest, 'zu einem Kind würde man nicht sagen..' .ich weiß, was du meinst aber genau so ist es leider oft genug nicht.
    Genau so wie die Standardempfehlung, mit Freunden und/oder Familie zu sprechen.
    Würde ich unter Vorbehalt empfehlen, da oft genau dort das Problem liegt und im schlimmsten Fall alles noch schlimmer macht, wenn die dich nicht ernst nehmen oder meinen, du hättest nichts. Manchmal ist es besser, entweder direkt zum Arzt zu gehen oder sich beispielsweise an eine/n Vertrauenslehrer/in zu wenden. Oder an Hilfsangebote für Jugentliche, Sorgentelefon, sowas. Ich weiß, es ist schwer, manchmal ganz gleich, an wen man sich wendet. Man wünscht sich Verständnis und Unterstützung von nahestehenden Personen aber Tatsache ist auch, dass oft genau dort Probleme liegen. Sich jemandem anzuvertrauen ist aber immens wichtig, sich Hilfe zu holen, zu verstehen, dass man zählt, wichtig ist, Empfindungen nicht einfach weggewischt werden dürfen, das ist zunächst fast das wichtigste.
    Egal, was andere sagen.
    Und das kann man nicht oft genug wiederholen und betonen.

    Du hast recht, viel zu viele Menschen, manchmal sogar selbst Betroffene, haben noch immer eine verzerrte Vorstellung von z.B. Depressionen. Das es da Abstufungen, verschiedene Formen gibt. Es nicht zwangsläufig bedeutet, brach in der Ecke zu liegen, sondern, ja, zu funktionieren, zu lächeln. Man muss nicht unbedingt sehen, wie es wirklich in jemandem aussieht.
    Ich glaube, es ist noch ein langer Weg, bis solche Themen wirklich bei der breiten Masse angekommen sind, also in Form von Wissen aber auch Akzeptanz und wirkliches Mitgefühl, nicht nur für einen Sänger oder Schauspieler oder ein Model, nicht nur auf Instagram oder TikTok, sondern auch für die Arbeitskollegin oder den Schwager. Oder sich selbst.

    Das spiegelt nur meine persönlichen Beobachtungen und Erfahrungen wider. Ist nur meine Meinung.
    Ich habe -aus Gründen- nicht alles komplett gelesen.
    Trotzdem Danke dafür, das Thema aufzugreifen und ausführlich zu behandeln.

    Silver (silbernebel jimdofree)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Oh, da sprichst du einen Punkt an. Möglicherweise sollte ich das oben in meinem Beitrag ergänzen, tatsächlich habe ich darüber zu wenig nachgedacht (tja, aus Gründen der Verdrängung vielleicht?), dass das Hilfesuchen im engen Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis mitunter Öl im Feuer sein kann. Du hast völlig recht. Das mit dem Kind meinte ich eher aus der eigenen Perspektive (weiß nicht, du vielleicht auch?), also dass ich selbst zu einem Kind nicht das Gleiche sagen würde wie zu mir selbst. Dass es durchaus viele viele Menschen gibt, die sowas sehr wohl sagen, ist mir klar, darin liegt sicher auch Teil des Problems.

      Der sicherste Weg ist dann wahrscheinlich, sich eine unabhängige Stelle zu suchen, um über die Situation zu sprechen, wobei, selbst da kannst du wahnsinniges Pech haben.

      Fakt ist, es gibt Menschen, die würde ich am liebsten schütteln wegen ihrer Empathielosigkeit und anderen eine echte, liebe Umarmung anbieten.

      Löschen
    2. So, weiter.
      Klar würde ich persönlich nie so mit einem Kind reden. Daher mein 'ich weiß, wie du es meinst', ichvbin auch nicht davon ausgegangen, dass du so mit Kindern redest:) aber leider gab und gibt es sowohl in Familien als auch Menschen von außerhalb, die komplett vergessen, dass da ein Kind vor ihnen steht, oder vielleicht wissen sie es und trauen sich gerade deshalb, komplett respektlos oder Empathielos zu sein.
      Das mit dem romantisieren ist so eine Sache. Wird mir fast schon zu willkürlich benutzt dieses Wort und auch hier wird nach meinem Eindruck sehr unterschieden, WER darüber schreibt, zum Beispiel.
      Einem Normalo wird abgesprochen überhaupt beispielsweise Despressionen zu haben, wenn er darüber Schreibt oder gar Witze macht. Da gilt Depri=schwerste Form= zu nichts mehr in der Lage sein. Falls doch, hat der auch nichts.
      Bekannte Leute schreiben Bücher über dieses Thema, gehen auf Bühnen, in Talkshows oder singen Songs drüber, gehen auf Tour. Applaus, wow, stark, die wollen nur aufklären und verarbeiten.
      Nur weil man das oder auch jede andere psychische Erkrankung wie auch immer verarbeitet, ist es nicht gleich 'romantisieren'. Ich persönlich sehe auch da zwei Sichtweisen, wer was darf, bei wem es akzeptiert wird, bei wem nicht, was mich sehr nervt.
      Natürlich gibt es auch Fälle, wo meist junge Leute so ein Schwarzsehen, eine gewisse Melancholie direkt als Depression sehen oder gar als Lifestyle feiern. Aber ich glaube, eher selten? Genauso wenig wie sie sich selbst diagnostizieren (auch gern: Borderline), genauso wenig können es Außenstehende ihnen absprechen. Irgend etwas wird wohl schief sein, wenn sich jemand das wünscht, so krank zu sein.
      Wo ich das öfter sehe ist da eher Magersucht, dieser ausgehungerte oder irgendwie Drogenassoziierte Style wird ja sogar in der Modewelt zelebriert, möglichst knochig, irgendwie 'kaputt', finden Leute gut.
      Es wird also irgendwo vorgelebt.

      Jedenfalls sind wir uns einig, dass das kein Tabuthema sein sollte, dass es mehr Hilfe für jeden, der sich Hilfe sucht, geben sollte. Und das Leute begreifen, dass es verschiedene Stufen gibt, verschiedene Erkrankungen, verschiedene Ausprägungen. Und dass sich niemand dafür schämen muss.
      Das wäre schön.

      Liebe Grüße!
      Silver

      Löschen
    3. Ah Hilfe.. irgendwo hab ich echt Jugentliche geschrieben. Help. Na ja- passiert. Sind sicher noch mehr blöde Fehler drin, geschenkt:)
      Silver

      Löschen
  3. Liebe Isa

    Zuerst einmal was für ein starker Beitrag und was für eine noch stärkere Person hinter diesem Text. Ich hatte bisschen Gänsehaut, weil ich mich in diesem Text selbst wiedererkannt habe… Denn genau wie du führe ich schon länger als mir lieb ist ein innerer Kampf mit mir selbst. Seit letzten August bin ich bereits seit 2 Jahren in Therapie. Und aus diesem Kampf ist mittlerweile eine Art Selbstfindungsphase mit Trauerbewältigung geworden :). Von anfangs gar nicht aus dem Bett kommen wollen bis hin zu ganzem Tag nur weinen, bin ich meine eigene kleine Detektivin geworden und lerne meine Traurigkeit zu ergründen und mich selbst besser kennenzulernen/schätzen. Schon traurig, dass man zuerst eine Art „zerbrechen“ muss, bevor man wie du bereits schön gesagt hast, zu schätzen lernt, was man eigentlich hat.

    Depression ist eine Krankheit wie jede andere und sollte definitiv mehr in der Gesellschaft anerkannt werden. In diesem Zeitraum als ich am Tiefpunkt meines Lebens war (zumindest hoffe ich, es kommt nicht wieder so schlimm) habe ich mich von Tag zu Tag im Job so durchgewuselt und völlig erschöpft das Wochenende zur Erholung gebraucht und mich von meinem Umfeld zurückgezogen, nur weil ich mich geschämt habe, mich krankschreiben zu lassen.

    Genau wie du habe ich in dem ganzen einen Sinn gesucht. Und ganz ehrlich, manchmal suche ich ihn auch heute noch, wenn ich denke, bald geht’s ohne Therapie und dann wieder einen kleinen „Rückfall“ habe. Aber manchmal erkenne ich auch, was ich aufgrund der Situation alles gelernt habe. Es haben sich die wahren Freunde herauskristallisiert, die dir eine helfende Hand reichen oder dich einfach in die Arme schliessen wenn du nicht reden möchtest. Ich habe mich selbst besser kennengelernt. Gemerkt, was für mich im Leben wichtig ist, wo meine Grenzen sind und ich meine Prioritäten setzen möchte. Mittlerweile lebe ich etwas leichter als auch schon aber ich bin ehrlich eine psychische Krankheit ist extrem anstrengend und der Weg zu Besserung lange.

    Ich wünsche dir kleine Fortschritte im Leben, die dir wieder etwas Licht schenken und ganz viel Kraft für den weiteren Weg der vor dir steht.

    Fühl dich gedrückt! ♥
    Pascale

    AntwortenLöschen

Sofern du deinen Kommentar nicht anonym abschickst, werden deine Profildaten gespeichert. Kommentare können vom Nutzer jederzeit wieder gelöscht werden.