Buchempfehlung | "Hard Land" - Benedict Wells und die Euphancholie

Sonntag, 20. November 2022

Okay, ich habe nun ja schon zum Ausdruck gebracht, wie wenig ich in den vergangenen Monaten gelesen habe. Tatsächlich tut mir in der Hinsicht das neue Präsenzsemester wirklich gut. (Erstaunlich, wie sich unser Wortschatz immer an die aktuelle Weltsituation anpasst, oder? Ich glaube, das Wort "Präsenz" habe ich vor 2020 nie verwendet und nun ist es nicht nur eine Beschreibung der lang ersehnten Öffnung der Schulen und Unis, sondern fast ein Glücks-Wort. Der Hauch der Normalität - wobei sich nun ja auch die Normalität sehr verschoben hat und Unstetigkeit und Ungewissheit unsere "neue" Normalität abbilden.)

Zurück aber zum Präsenzsemester: Für mich bedeutet das, wieder öfter meine lange Strecke mit der Bahn zu fahren, wenn ich von Zuhause 1 zum Zuhause 2 oder zur Uni unterwegs bin. Mein Papa hat die Regel etabliert, dass in der Arbeitstasche ein Buch für die Bahnfahrt nicht fehlen darf und jetzt bin ich endlich auch wieder auf den Zug aufgesprungen. Deshalb hat mich die letzten Wochen ein Buch begleitet, das Papa mir (nicht ganz uneigennützig) zu Weihnachten 2021 geschenkt hat:

"Hard Land" von Benedict Wells.


Missouri, 1985: Um vor den Problemen zu Hause zu fliehen, nimmt der fünfzehnjährige Sam einen Ferienjob in einem alten Kino an. Und einen magischen Sommer lang ist alles auf den Kopf gestellt. Er findet Freunde, verliebt sich und entdeckt die Geheimnisse seiner Heimatstadt. Zum ersten Mal ist er kein unscheinbarer Außenseiter mehr. Bis etwas passiert, das ihn zwingt, erwachsen zu werden. Eine Hommage an 80’s Coming-of-Age-Filme wie The Breakfast Club und Stand By Me – die Geschichte eines Sommers, den man nie mehr vergisst.

Hard Land ist Preisträger des Deutschen Jugendliteraturpreis 2022. (Quelle)

2021
352 Seiten
Coming-of-Age
Diogenes

Ich kenne bisher nur 2 seiner Romane ("Vom Ende der Einsamkeit" und "Becks letzter Sommer") und beide haben mich so sehr berührt, weil Wells Figuren allesamt so normal und gleichsam besonders sind, dass ich sie einfach nur ins Herz schließen kann. Es sind alltägliche Sorgen, die sich in Wells' Romanen zu Abenteuern entwachsen, wo ich am Ende nur feststellen kann: Ja, auch mein Leben ist ein Abenteuer, wenn ich es als solches wahrnehme. Hard Land schlägt hier in eine ähnliche Kerbe. Es wird die Geschichte eines Jungen erzählt, der im Amerika der Achtziger einen unvergesslichen Sommer erlebt und ein Stück erwachsen wird. Eine Nebenprotagonistin, Kristie, liebt es, erste Sätze von Büchern auswendig zu lernen und deshalb möchte ich euch den ersten Satz von Hard Land nicht vorenthalten (der übrigens eine Abwandlung eines anderen berühmten ersten Satzes ist):

In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.

Es ist, denke ich, diese Spannweite an Emotionen und die Vergänglichkeit von allem, was bereits in diesem ersten Satz steckt und in jeden folgenden weitergetragen wird. Die Vergänglichkeit der Kindheit und die Ahnung davon, die erst real wird, wenn es schon längst vorbei ist - oder die jeden so diffus ergreift, ohne, dass man Worte dafür finden kann. Benedict Wells gelingt das. Er schreibt Zeilen, die ich ungläubig lese, nochmal lese, um dann das Buch sinken zu lassen und mir zu denken: "Das sind doch meine Gefühle." Ich würde euch am liebsten alles aus dem Buch zitieren, aber erstens darf ich das nicht und zweitens möchte ich euch das Glück nicht vorwegnehmen. Nichtsdestotrotz habe ich hier noch zwei Zitate, an denen kein Weg vorbei führt :-)

"'Sir, eine Frage noch. Wenn man seinen Glauben verliert ... Nehmen wir an, es gibt keinen Gott oder eine ausgleichende Gerechtigkeit oder so was, was bleibt einem dann noch in so einer Situation?'

Der Inspector überlegte.

'Das Trotzdem', sagte er schließlich."(S. 292)

"Alles klang gut und wunderbar weit weg, und es war eine dieser Unterhaltungen, bei der alle Gedanken zu funkeln schienen und bei der wir das Gefühl hatten, mit jeder Bemerkung zu wachsen." (S. 323)

Tja, diese Wortgewandtheit ist neben anderen Dingen, die mich ständig feststellen lassen, das Buch ist verdammt ehrlich und wunderbar gut durchdacht; der Aspekt, durch den ich Benedict Wells als Autor liebe, ebenso wegen Wortneuschöpfungen wie "Euphancholie" - einer Mischung aus Euphorie und Melancholie, wenn man in schönen Momenten sehr traurig wird, z.B., weil man weiß, wie vergänglich der Moment ist. 

Im Übrigen führt Wells eine Homepage, auf die ein Blick zu werfen sich lohnt! (https://benedictwells.de/)

Außerdem habe ich ein Interview vom Bayrischen Literaturportal gefunden, welches ich schlicht inhaliert habe. Es geht vorrangig um die Entstehungsgeschichte und Hintergründe von Hard Land, aber auch um mehr: Dort bekennt sich Wells zu seiner Liebe zu Filmen/ Geschichten wie "Perks of being a wallflower" (wahnsinnig berührende Geschichte") und nennt noch den ein oder anderen ersten Satz, der mich nun so neugierig darauf gemacht hat, diese Bücher auch wirklich zu lesen.


3 Kommentare

  1. Hi Isa!

    Schön zu lesen dass dich das Buch so begeistern konnte! Für mich war es das erste von dem Autor und ich mochte es auch sehr gerne. Gefühlsmäßig konnte es mich nicht ganz so mitnehmen wie ich erwartet hatte, wobei ich gar nicht genau sagen kann, woran das lag. Den Schreibstil an sich fand ich nämlich auch wirklich toll und ich hab mir auch einige Zitate markiert :D

    Liebste Grüße, Aleshanee

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    1. Hallo liebe Aleshanee,
      vielleicht wird ja ein anderes Buch des Autors dich mehr "mitnehmen", wer weiß? Es kommt sicherlich auch immer ganz auf die Verfassung an, in der du dich gerade beim Lesen befindest und manchmal funktioniert es einfach nicht (so richtig). Aber dass du es im Grunde sehr gut fandest, ist schon mal eine gute Voraussetzung :D Ich freue mich darauf, von deiner Erfahrung zu lesen, solltest du ein anderes Wells-Buch lesen!
      Liebe Grüße,
      Isa

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    2. Mal sehen ob ich noch was anderes von ihm lese, ich hab mir seine anderen Bücher bisher noch nicht näher angeschaut. Es warten momentan einfach zu viele andere Bücher ;)

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