Falling Fast - Bianca Iosivoni | Mein Appell gegen das Missverstehen und Relativieren psychischer Erkrankungen

Sonntag, 23. Februar 2020


SPOILERWARNUNG Vor ein paar Wochen wollte ich mir während meiner Klausurenphase etwas Gutes tun und bestellte mir daraufhin einige Bücher, die momentan in der New Adult-Szene so gehyped werden (was ich bisher noch nie gemacht habe). Gerade um Bianca Iosivonis „Falling Fast“-Reihe bin ich sehr lange herumgeschlichen, weil die Cover natürlich auch mich total verzaubert haben. Warum ich nun doch enttäuscht und auch ein bisschen wütend bin, aber es wahnsinnig wichtig finde, einen Versuch zu starten, über die Wahrheit aufzuklären, könnt ihr im Folgenden lesen. 
Ich habe vorsichtshalber eine Spoilerwarnung vor diesen Post gesetzt, da ich möglicherweise einige Dinge schreiben werde, die als Spoiler zählen könnten.

Zuerst ein paar Eckdaten:
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: New Adult
Sprache: Deutsch
Verlag: LYX
Seiten: 480


Der erste Teil der Reihe erzählt von Hailee, die sich für diesen Sommer etwas ganz Besonderes vorgenommen hat. Sie will ihre Angst überwinden und alleine einen Roadtrip quer durch die Staaten machen. Die Handlung setzt ein, als Hailee das kleine Städtchen Fairwood erreicht, in dem sie eigentlich nur kurz halten möchte, um ein Versprechen einzulösen, welches sie jemandem vor einigen Monaten gab. Nachdem ihr Auto den Geist aufgibt, muss sie jedoch wohl oder übel eine längere Zeit in Fairwood verbringen, bis die passenden Ersatzteile für den Honda geliefert und eingebaut werden können. Hailee lernt dort Chase kennen, einen umwerfend gut aussehenden Kerl, der seine Semesterferien in der Heimat verbringt und ihr unbedingt ein Date abknöpfen will. Sie verbindet Pflicht und Vergnügen, indem sie mit Chase zusammen das Versprechen einzulösen versucht und sich gleichzeitig Stück für Stück in ihn verguckt, während er ihr die schönen Flecken um Fairwood herum zeigt.

Ich wollte diesen Roman wirklich gern lesen, weil er ein paar sensible Themen behandelt, die ich persönlich sehr wichtig zu besprechen finde. Psychische Krankheiten wie Angststörungen und Depressionen werden leider noch viel zu selten gut recherchiert und realitätsgetreu in Büchern beschrieben. Deshalb bin ich immer auf der Suche nach Erzählungen, die genau das schaffen.
Bevor ich meine Meinung zu dem hiesigen Thema kundgebe (und ein wenig in meinen Mecker-Modus verfalle), möchte ich allerdings noch ein paar Worte zum Inhalt und dem Schreibstil loswerden.

Allgemein ist die Geschichte um Hailee und Chase eine ziemlich leichte Lektüre. Die Protagonisten sind recht sympathisch, der Leser kann sich durch die Sichtwechsel in den einzelnen Kapiteln sowohl mit Hailee als auch mir Chase identifizieren und der Handlungsort gleicht einem Postkartenmotiv. Ich fand es schön, dass in diesem Roman etwas anderes als die Entwicklung einer romantischen Liebesbeziehung im Vordergrund stand, nämlich das Finden des Manuskripts von Hailees verstorbenem besten Freund Jesper. Trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass die Geschichte ein bisschen mehr Tempo aufnimmt, sehr oft hatte ich das Gefühl, dass die Protagonisten sich kaum von der Stelle bewegen.
Begünstigt wurde dieses Empfinden durch die wirklich SEHR ausschweifenden Erklärungen von Gefühlszuständen, Landschaftsbeschreibungen, Ereignissen in der Vergangenheit (teilweise waren es Ereignisse, die irgendwelche Nebenfiguren betrafen und kaum einen Einfluss auf den Verlauf der Handlung hatten), sodass ich leider öfter als nötig Seiten übersprungen habe, bis wieder die Handlung einsetzte. Dadurch wurde die Spannung, die ab und zu ein kleines bisschen zum Vorschein kam, sofort wieder zunichte gemacht.

Sehr gut verstehen konnte ich Chase‘ familiären Hintergrund, sein Dilemma zwischen dem, was seine Eltern als berufliche Zukunft für ihn vorgesehen haben und seinen wirklichen Wünschen, selbst wenn diese noch gar nicht so klar definiert waren.
Was mich sehr irritiert hat, war der zeitliche Rahmen, in dem die Handlung stattfand. Es hieß direkt nach ihrer Ankunft, Hailee habe eigentlich kaum Zeit für diesen außerplanmäßigen Zwischenstopp und nach einer (oder zwei?) Wochen in dem Städtchen gab es eine Stelle, an der es hieß, sie müsse eigentlich sofort losfahren, wenn sie ihren Zeitplan einhalten müsse und selbst dann wäre es nicht sicher, ob sie es rechtzeitig nach Hause schaffen würde. Trotzdem zaubert sie immer und immer wieder noch ein bisschen Zeit aus dem Hut, mal ein ganzes Wochenende, dann wieder einen weiteren Tag. Das fand ich nicht wirklich gut durchdacht und hat den potenziellen Zeitdruck, der ab und zu erwähnt wurde, sofort wieder verpuffen lassen.

Nun kommen wir aber zu meiner Herzensangelegenheit:

Hailee DeLuca hat angeblich eine Angststörung, die die Basis der gesamten Geschichte ist. Diese Behauptung ist für alle Menschen mit Angststörungen eine Beleidigung und eine absolute Verzerrung des Krankheitsbildes.

Die Protagonistin leidet unter dieser Störung, trotzdem schafft sie es problemlos, allein über mehrere Wochen mit dem Auto unterwegs zu sein, auffällige, papageienbunte Kleider zu tragen, allein in eine Bar zu gehen, sich an einen wildfremden Kerl heranzuschmeißen, einen Job mit viel sozialem Kontakt anzunehmen, die Eltern des toten Freundes zu besuchen, die sie vorher nie kennengelernt hat und schafft es, sich innerhalb von einer oder zwei Wochen in eine Gruppe von Leuten zu integrieren (die sich alle schon seit der Highschool kennen), sodass sie sich am Ende der Zeit  kaum von ihnen trennen kann.

Das, liebe Leute, ist keine Angststörung. Das ist maximal Ängstlichkeit. Solche Dinge schafft jemand, der eine ernsthafte Störung hat nicht, nur weil er sich vorgenommen hat, „mal mutig zu sein“. Eine Angststörung besteht nicht aus ein oder zwei Erwähnungen von „ich erstarre innerlich“ und ein paar gestotterten Sätzen.

Eine Angststörung bedeutet, ständig angespannt zu sein; vor einem Telefonat, vor einem Supermarktbesuch, vor einem Termin und noch viel mehr während dieser Situationen. Es bedeutet, sich so unauffällig wie möglich zu kleiden und zu verhalten, und bloß niemandem Umstände zu machen, ja am liebsten unsichtbar zu sein, um niemanden zu nerven. Man rennt nicht in auffälligen Röcken rum und wohnt, ohne wahnsinnige Schuldgefühle zu entwickeln, kostenlos in Wohnungen, die andere Arbeiter eigentlich viel dringender benötigen.
Angst bedeutet, sich tagelang vor sozialen oder komplizierten Situationen zu fürchten und sie dann meistens im letzten Moment doch abzusagen, weil es einem alles zu viel wird. Oder zwar hinzugehen, sich jedoch durchgehend unwohl zu fühlen, Übelkeit und Angstschweiß, Ohnmacht und den ständigen Drang zu weinen zu verspüren, weil jede Person in deinem Umfeld (laut deiner Wahrnehmung) irgendwie belästigt von dir zu sein scheint.
Eine Angststörung besteht aus Panikattacken in (für gesunde Menschen) normalen Situationen: beim Aufruf in der Schule, beim Kellner-zum-Bezahlen-heranwinken, beim Kommunizieren mit den Eltern von Freunden oder sogar mit den Freunden selbst.

Angst bedeutet auch, sich nicht zu trauen, offen Emotionen zu zeigen, sich zu freuen oder zu lachen, weil es peinlich sein könnte. Angst bedeutet, aus eben jenem Grund auf andere immer abweisend oder emotionslos zu wirken.
Und nichts davon lässt sich einfach so überwinden, so traurig es klingen mag. Eine Angststörung ist nichts, was man mal eben ausschalten kann, wenn man einen schönen Abend verbringen kann. Man muss sie in kleinen Schritten bekämpfen, und kleine Schritte bedeuten nicht: Auf einen Roadtrip zu gehen und allein im Auto zu schlafen oder mit fremden Leuten, die sich alle untereinander kennen, in eine Bar zu gehen.
Kleine Schritte bedeuten stattdessen: Zu lernen, selbstständig etwas in einem Café zu bestellen, ein Telefonat zu führen, ohne sich vorher alle Sätze parat zu legen oder überhaupt erst einmal allein vor die Tür zu gehen.

Leider hat dieses Buch den Eindruck vermittelt, sehr schlecht recherchiert zu sein im Hinblick auf diese psychische Erkrankung und schien nur dieses Thema behandeln zu wollen, um „ernst“ zu wirken. Meiner Meinung nach sollten solche Krankheiten entweder mit einer sehr guten Recherche oder gar nicht in Romane integriert werden, denn die Gefahr ist zu groß, die Krankheit zu relativieren und den Eindruck zu vermitteln: Ach, es ist ja überhaupt nicht so schlimm.
Denn das ist für die Akzeptanz erkrankter Personen in der Gesellschaft fatal und wäre ein großer Rückschritt.


Ich weiß, dass die "nackte Wahrheit" über Krankheiten, seien sie psychisch oder körperlich, solchen romantischen Erzählungen die Leichtigkeit nehmen. Dass Erzählungen dadurch auch aussichtslos, deprimierend oder verzweifelt wirken können. Aber genau das ist die Wahrheit. Eine Krankheit ist kein Accessoire, das eine Person interessant und einzigartig macht. Seltsamerweise gelang es Bianca Iosivoni bei der Beschreibung von Jespers Erkrankung sehr gut, dieses Dilemma darzustellen, nur bei Hailee wurde es dann ungenau und irgendwie auch absurd.

Bewertung

Wenn ich nun alle meine oben genannten Kritikpunkte gegeneinander aufrechne, gebe ich dem Roman insgesamt 3 Herzen. Den zweiten Teil werde ich nicht lesen.

Liebe Grüße,
Isa

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