Meine Fassungslosigkeit über das Verharmlosen von sexueller Nötigung in "AbendGewitter" - D. C. Odesza

Samstag, 28. März 2020

[SPOILERGEFAHR, NOT SORRY] Freunde, ich bin enttäuscht. Und zwar so richtig. Ich denke, ich irre mich nicht, wenn ich behaupte, der Großteil von euch kennt die berüchtigte "Panama"-Reihe von D. C. Odesza, oder? Auf Lovelybooks hat der erste Teil, AbendGewitter, unglaubliche 4,8 Sterne und auf Amazon haben die beiden Folgenden Bände sogar 4,9!! Tja, was soll ich sagen - ich habe mich blenden lassen. Aber lest selbst.

Panama. Zwei junge Studentinnen treten ihr Auslandsjahr an. Das erste Ziel ist Panama-Stadt. Allerdings ahnen beide noch nicht, dass sie das Land nicht mehr so schnell verlassen werden. Vom ersten Tag an scheint sie das Finstere zu verfolgen. Das Dunkle, das kein Gesicht besitzt, sondern eine Maske. ALESSIO! Wer ist dieser rätselhafte Mann? Ein Schatten? Ein Feind? Oder doch ein Beschützer?
Wohl kaum …
(Quelle: Amazon)

Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Erotik
Sprache: Deutsch
Verlag: M.N.
Seiten: 444

Diese Rezension (ich entschuldige mich schon einmal im Voraus, falls ich mich ein bisschen zu sehr auskotzen werde) ist mein Beweis, dass nicht alles, was glänzt, auch wirklich Gold ist.
Es ist selten, dass ein Buch mit mehreren hundert Bewertungen auf eine so unglaubliche Punktzahl wie 4,8 kommt. Da schneiden meine Lieblingsbücher, die aufgrund von Tiefe und einem grandiosen Schreibstil überzeugen, schlechter ab. Ich dachte mir, wenn ein Buch also so extrem gehyped wird, muss an der Sache ja irgendetwas dran sein.

Beginnen wir mit der Geschichte: Zwei Mädels (= Samira und Zahra) reisen ohne Begleitung in ein ziemlich gefährliches Land ein, in welchem es von Mafia-, Banden- und Kleinkriminellen nur so wimmelt. Dieselben Mädels machen mit einem zwielichtigen Touristenführer einen Ausflug in den Dschungel und müssen sich ins "Unterholz" schlagen, weil sie anscheinend vergessen haben, vorher auf die Toilette zu gehen. Ich konnte vor so viel Dämlichkeit wirklich nur den Kopf schütteln - weiß nicht jedes Kind, dass man im tropischen Urwald als Tourist UNTER KEINEN UMSTÄNDEN die ausgewiesenen Wege verlassen sollte?? Da geschieht es ihnen gerade recht, von Verbrechern gekidnappt zu werden, auch wenn die Gefahren eines Dschungels ja eigentlich eher tierischer Art sind.

Glücklicherweise ist die Entführung für beide nicht so schlimm, da sie in einem noblen Anwesen untergebracht werden, in welchem sie sich mehr oder weniger frei bewegen können. Der Besitzer dieses herrschaftlichen "Hauses" heißt Alessio und rettet Samira gleich zum Anfang gnädig vor dem Tod, bevor der Leser Einblicke in seinen eigentlichen Job fernab vom Samaritertum bekommt: Leute abknallen und sich über das billig wirkende Luxusleben seiner Helfer in einer wirklich herablassenden Art lustig machen. Dabei wird mehrmals im Roman beteuert, wie wertvoll Alessio das Leben empfindet und dass er alles in seiner Macht stehende tut, um Leben zu schenken.
Aha.
Die Geschichte wird abwechselnd aus Samiras, Alessios und Elians (noch so ein seltsamer Typ) Perspektive erzählt und gewinnt dadurch nicht unbedingt an Charakter. Die Protagonisten sind alle nervig.
Samira ist auf der einen Seite übertrieben kratzbürstig, lässt sich aber von Geschenken ihres Entführers immer ziemlich schnell wieder besänftigen und hält ihre Wut nie lange durch. Man kommt als Leser oft kaum hinterher, wenn sich ihre Stimmung (und insbesondere ihre Sicht auf die Situation als Gefangene) ändert. Deutlich wird nur: Irgendwie findet Samira es schon blöd, in einer geheimen Festung mitten im Dschungel hocken zu müssen, projiziert aber gleichzeitig die Figur des Retters in goldener Rüstung auf Alessio, denn er hätte sie ja auch einfach sterben lassen, als sie verletzt war.
Alessio selbst scheint leicht gestrickt zu sein: tagsüber Menschen töten, nachts zu Samira (die, man glaubt es kaum, natürlich Jungfrau war) ins Bett kommen.

Der Autorin gelingt es überhaupt nicht, die Kaltblütigkeit des Bandenanführers "Alessio" glaubhaft zu übermitteln - die Kapitel aus seiner Sicht wirken permanent wie die Parodie eines sehr machohaften kriminellen Bosses, nur ist es ernüchternd, dass Odesza es tatsächlich ernst meint. Alessio hat vieles mit den männlichen Protagonisten anderer Erotikromane gemeinsam: Er darf nicht angefasst werden, er küsst niemanden, und so weiter.
Was allerdings auch nicht in der Geschichte fehlen durfte, ist, wie der harte, unabhängige Kerl nach und nach dem Charme seiner Gefangenen erliegt. Wie unerwartet.

Auch die sprachliche Gestaltung des Romans ist unterdurchschnittlich. Es gibt viele Sätze, die überhaupt keinen Sinn ergeben, eine oft seltsame und unpassende Wortwahl und die überproportionale und vor allem durchgängig falsche Nutzung der Konjunktion "nachdem" ("Nachdem ich aufwache, frühstücke ich.").
Es wirkt fast, als habe die Autorin ihre liebsten Formulierungen aus anderen Geschichten unbedingt auch in ihrer eigenen verwenden wollen und so besteht dieses Buch hauptsächlich aus umständlich geschriebenen, jedoch austauschbaren Phrasen und einem sehr konstruiert wirkenden Erzählrahmen.
Die Erzählung macht im Großen und Ganzen einen eindimensionalen und undurchdachten Eindruck.

Der Aspekt des Romans, der mich am meisten gestört hat und in welchem ich auch eine zunehmende Gefahr für die durchschnittlich sehr jungen Leserinnen sehe, ist die Art, wie mit das Sexuelle thematisiert wird.

Es gibt in dem Buch mehrere Szenen, in denen Alessio Sex mit Samira haben will und sie mehrmals sehr unmissverständlich "Nein" sagt. In keiner einzigen Situation stellt er daraufhin sein Bemühen ein. Entweder macht er einfach weiter und sie gibt irgendwann auf, weil "es sie ja irgendwie doch erregt" oder - und das finde ich ganz besonders schlimm - er bringt Floskeln wie "Ich weiß, dass du es eigentlich willst".
Später heißt es in einem Gedankengang von Alessio noch, er würde Samira nie missbrauchen und das habe er ja auch noch nie getan.

Es ist nicht zu akzeptieren, dass auf diese Art und Weise suggeriert wird, es sei vollkommen in Ordnung, eine Frau, welche klar und deutlich ausdrückt, dass sie nicht einverstanden ist, trotzdem zum Geschlechtsverkehr zu drängen. Dabei ist es EGAL, ob sie es eigentlich auch will, oder nicht. Wenn jemand "Nein" sagt, dann gilt dieses "Nein". 
Ich verstehe überhaupt nicht, wie man als Frau eine solche Protagonistin erschaffen kann, die es okay findet, wenn sich der Partner über ihren Willen hinwegsetzt. 

Das hat rein gar nichts damit zu tun, dass der Typ einfach dominant ist oder sie besser kennt und weiß, dass sie sich einfach so aus Spaß wehrt. Es ist kein Ausdruck von Attraktivität.
Ganz im Gegenteil. Fragt euch eher, warum der Kerl (ob es jetzt Alessio ist oder ein anderer) nicht genug Männlichkeit besitzt, mit einer Ablehnung seiner Partnerin umgehen zu können. Das sagt nämlich viel über den Charakter aus. 

Und in solchen Situationen geschieht es schnell, dass aus der einfachen Nichtakzeptanz eines Neins eine Vergewaltigung wird. Daher wäre ich ganz vorsichtig dabei, ein Buch wie "AbendGewitter" zu hypen und damit zu der Verharmlosung von sexuellem Drängen bis hin zu schwereren Delikten beizutragen.


Bewertung

Meine Bewertung in Herzchen ist, wenn ihr meine Rezension vollständig gelesen habt, wahrscheinlich obsolet. Es gibt einen Punkt, weil das Cover schön ist. Und weil ich noch keine Grafik für null Punkte erstellt habe.

3 Kommentare

  1. Hallo Isa, danke für deine klaren Worte!

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    1. Sehr gern! Ich freue mich, wenn du darin Anklang gefunden hast.

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  2. Ich habe das Buch gerade beendet und kann mich deiner Rezension nur anschließen. Jedoch bin ich noch nicht darauf gekommen, wer Alessio jetzt wirklich ist, weil es einfach nicht genug Übereinstimmungen mit den vorhandenen Charakteren gibt. Wer ist es denn nun? 😅

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